Samstag, 5. Januar 2008

Treibholz

Die Überreste des großen stolzen Astes lagen seit unendlicher Zeit am Strand. Vom intensiven Sonnenlicht und dem Seewetter gebleicht, verfing sich ab und an trockener Tang oder Algenüberreste an ihm. Gab es einen seichten, ablandigen Wind, so wurde das Holzstück dann leicht gekitzelt, was es immer als sehr angenehm empfand. Manchmal wurde es als Spielzeug von Kindern oder Tieren benutzt, dann zog es an einen anderen Teil des Strandes um.

Seit einiger Zeit hatte es einen neuen, festen Wohnsitz gleich hinter der Düne, wo diese langsam in den feinen Sandstrand überging. Dies war der beste Ort seit Jahren. Abseits vom täglichen Strandgetümmel konnte es an schönen Tagen die Sonne in Ruhe genießen. Schlug das Wetter um, gewährten ihm die Grashalme Schutz vor Regen und Wind. Nur bei tagelangem Dauerregen versagte das Grashalmdach. ALLES IN ALLEM, KEIN SCHLECHTES LEBEN, dachte das Holzstück.

Dann kam der Tag, es war noch früh am Morgen, an dem es durch einen leichten Stoß aus dem Schlaf gerissen wurde. Es füllte die trockene Kühle einer Hundeschnauze. GLEICH WERDEN MICH DIE PFOTEN ZWISCHEN DIE ZÄHNE BEFÖRDERN. Der Gedanke war kaum zu Ende gedacht, schon spürte es, wie das Maul des Hundes zuschnappte. Am frühen Morgen mochte das Holzstück diese Spiele nicht. Nicht nur, dass damit wieder ein ungewollter Wohnortswechsel verbunden war, diese Umzüge fanden oft unter widrigen Umständen statt. Abhängig von der Geschicklichkeit des menschlichen Tierbegleiters flog es unter Umständen mit so vielen Überschlägen durch die Luft, dass sich Anzeichen von Übelkeit einstellten. Das Holzstück wollte sich noch von dem Steinen und Grashalmen in der nähren Nachbarschaft verabschieden, aber alle schliefen noch, und niemand reagierte auf sein schnell gerufenes Goodbye.

„Mach nicht zu doll“, flüsterte es dem Hund zu. „Für mein Herrchen kann ich nichts“, erwiderte der Hund. „Er müht sich immer redlich, aber sein Wurftalent ist weniger als mittelmäßig ausgeprägt. Meist wirft er zu kurz. Ich lasse mir nichts anmerken, aber die 10 bis 15 Meter, welche ich laufen darf, um den geworfenen Gegenstand zu holen, bereiten mir keine Mühe. Es wäre mir viel lieber, wenn er mal wirklich weit werfen würde, am besten so, dass ich mich bei der Suche richtig anstrengen müsste.“

Das Holzstück flog einmal, zweimal, dreimal und wurde wieder in die Luft befördert. Beunruhigt stellte es fest, dass es sich unaufhörlich dem Meer näherte. Platsch! Die Landung war unangenehm nass. Im nächsten Augenblick wurde es von einer zurückweichenden Welle weit ins Meer gerissen. Der Hund stand noch einen Augenblick am Strand und sah dem Verschwinden des Holzstückes zu. Dann drehte er sich um und lief seinem Herrchen hinterher.

SUPER, BESSER HÄTTE ES GAR NICHT SEIN KÖNNEN. JETZT WIRD SICH JEDE FASER VOLL WASSER SAUGEN. WENN ICH WIEDER AUF DEM TROCKEN BIN, WERDE ICH TAGE BRAUCHEN, BIS SONNE DEN LETZTEN TROPFEN AUS MIR RAUS GESOGEN HAT.

Unglücklicherweise war die Strömung an diesem Tag stärker als sonst. Ehe das Holzstück sich versah, war es weit vom Ufer abgetrieben. Aus alter Erfahrung wusste es, dass es sich damit seine Situation augenblicklich verschlechtert hatte. Abwarten war jetzt das einzig Mögliche und Sinnvolle.

So vergingen einige Tage. Das Meer war die meiste Zeit ruhig. Seicht trieb das Holzstück. Gelegentlich bekam es Besuch von einer Möwe. Sie schaute in den ersten Tagen alle paar Stunden vorbei. Jedes Mal prüfte die Möwe, durch ein leichtes Einhacken auf das Holzstücken, ob das Holzstück etwas fressbares sein könnte. Beim zehnten Besuch der Möwe sprach das Holzstück sie an. „Hey, ich bin ein Holzstück und kein Fisch. Wenn du mich verschluckst, würde es dir nicht gut bekommen. Aber das weißt du ja selber. Mir ist langweilig und ich befinde mich in einer misslichen Lage. Ich wäre dir dankbar, wenn du mich zum Strand zurücktragen würdest.“ Die Möwe schaute das Holzstück mit ihren beiden Glubschaugen an. „Das kann ich nicht, ich habe mich selber verirrt und nicht mehr genug Kraft um zurückzufliegen. Wenn ich nicht bald einen Fisch finde, muss ich hier draußen wohl verhungern. Vielleicht kommt in den nächsten Tagen ein Fischkutter vorbei. Dann bin ich gerettet.“ Kaum ausgesprochen erhob sich die Möwe und verschwand.

Langsam wurde das Holzstück in die Fahrrinne der großen Schiffe getrieben. Die Anziehungskraft der vorbeifahrenden Schiffe wurde größer und größer. Gegen die Strömung, die die Schiffe hinterließen, konnte das Holzstück sich kaum wehren. ICH MUSS IN EINE BESSERE AUSGANGSLAGE. Das war der einzige Gedanke des Holzstückes. Es hoffte auf die Ausläufer einer großen Bugwelle. Mit einer solchen könnte es der gefährlichen Strömung der Fahrrinne entfliehen. Seine Hoffnungen erfüllten sich aber nicht. Nachdem ein mittelgroßes Containerschiff an ihm vorbeigefahren war, landete es genau Backbord in der Mitte des Fahrwassers.

Ungefähr eine Stunde später hörte das Holzstück ein sich langsam näherndes Suren von Schiffsschrauben. Je näher das Geräusch kam, wurde es durch das schwere Stampfen der Dieselmotoren verstärkt.

Dann merkte das Holzstück, wie der Wasserspiegel ruckartig nach oben gehoben wurde. Mit einem dumpfen Schlag flog es gegen die Bordwand eines Supertankers. Es wurde nach unten, unter das Schiff, gezogen. Die Ausmaße des Supertankers waren so groß, das kein Sonnenlicht mehr durch die Wasseroberfläche drang. Absolute Dunkelheit. Das Holzstück schrammte über die kalte Oberfläche des Schiffsuntergrundes. Dann sah es die beiden riesigen Schiffsschrauben vor sich. Es näherte sich ihnen mit einer großen Geschwindigkeit. NICHT DAS AUCH NOCH. IM GÜNSTIGSTEN FALL WERDE ICH VON DEN VERWIRBELUNGEN ÜBER ODER UNTER DIE SCHIFFSSCHRAUBEN GEDRÜCKT.

Einen Wimpernschlag später zerteilte ein Schiffsschraubenblatt das Holzstück in zwei Teile und wirbelte die Überreste in die benachbarte Schiffsschraube. Nachdem der Supertanker die Stelle verlassen hatte, schwammen auf der Wasseroberfläche vier kleine Holzstückchen. Eins von ihnen verfing sich nach einer Woche im Netz eines Fischkutters. Mit dem Fang wurde es aussortiert. Es hat genau die Größe um die lockere Halterung der Lampe zu stabilisieren, dachte der Fischer und klemmte es zwischen Schiffswand und Lampe.

„Hey“, sagte die Möwe, „Wie du siehst, habe ich einen Fischkutter gefunden, der mich zurückbringen wird. Man muss nur fest an sein Glück glauben.“ Der Überrest des Holzstücks konnten nicht antworten, weil es nach der Begegnung mit den Schiffsschrauben in ein tiefes Koma gefallen war. Die anderen drei Teile blieben in der Weite des Meeres verschwunden.
Zu finden unter: Geschichten

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